[Aktive Innenstadt] Fehler beim FAZ-Artikel zu Hartz IV

Müller Manfred manfredmuellerkoeln at gmail.com
Fri Apr 6 10:45:18 CEST 2018


Hallo Alex,


Zunächst einmal Danke für Deine ausführliche Ausarbeitung.


Gestatte mir dennoch einige grundsätzliche Anmerkungen und Hinweise:

1.

Natürlich bin auch ich für hohe Bruttolöhne.Aber wir sollten uns vom
„Lohnabstandsgebot“ nicht nur endgültig verabschieden, sondern jeglichem
Versuch es wiederzubeleben widerstehen.

Nachdem das Bundessozialgericht die Bundesregierung dazu verurteilt hatte,
die Ermittlung der Regelsätze im SGB II durchschaubar zu gestalten,
erfolgte 2011 die Einführung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG).Mit
allerlei statistischen Tricks und Finten wurden die „Bedarfe“ so
hingebogen, dass die Regelsätze um 5 € hätten gesenkt werden müssen. Darauf
wurde großzügig verzichtet. Aber nach diesem bürokratischen Kraftakt drohte
neues Ungemach.Wie sollte man nun das „Lohnabstandsgebot“ (§ 28 Abs.4 SGB
XII) bestimmen. Die Lösung war einfach. Seit Einführung des RBEG ist das
„Lohnabstandsgebot“ Geschichte.

Dass nun die FAZ und andere Kreise versuchen,diesen toten Hund wieder
auszugraben, um den Kampf von Elend gegen Not weiter zu befeuern, sollten
wir als das übliche Ablenkungsmanöver über ihr eigenes Tun betrachten.Es
scheint an deren besonderen Sozialisation zu liegen, dass die
tatsächlich“sozial schwachen“ Schichten dieser Gesellschaft Erwerbslose
prinzipiell als arbeitsscheu betrachten, die durch besondere Anreize zum
„Schaffen“ gebracht werden müssen.Die Wirklichkeit sieht anders aus,aber zu
dieser hatten und haben diesen Herrschaften wohl kaum einen Zugang.


Als LINKE sollten wir den Blick in die andere Richtung wenden, nämlich auf
die exorbitanten Managergehälter und Boni.Hier muss ein „Lohnabstandsgebot“
erkämpft werden.In Köln hatten wir einmal den Beschluss diese auf das 30
fache eines Durchschnittslohn zu begrenzen.In diese Richtung gilt es gerade
jetzt aufzuklären.


2.

Der FAZ Artikel ist ein peinlicher Griff ins Klo.Er zeigt einmal mehr,dass
in diesen „postfaktischen Zeiten“ mangelnde Sachkunde zum Karrieremerkmal
zu werden scheint. Du weist in Deiner Ausarbeitung ja richtigerweise darauf
hin,dass in den gewählten Beispielen nur jeweils eine Person erwerbstätig
ist.(Selbstverständlich der Mann ;-)) und die Mietpreisbeispiele mit denen
von Köln nix zu tun haben. Unrealistisch ist aber auch die Tatsache, dass
alle Erwerbstätigen anscheinend im „home office“arbeiten oder fußläufig zu
ihrem Arbeitsplatz wohnen. In dem Moment, wo Kosten für öffentliche
Verkehrsmittel oder ein Kraftfahrzeug ins Spiel kommen wird der
Grundfreibetrag von 100 € überschritten. Die höheren Kosten können dann als
„Absetzbetrag“ geltend gemacht werden.Das gilt m.E. Für mindestens 90 % der
Betroffenen.


Was in der ganzen Debatte überhaupt nicht berücksichtigt wird, ist die die
Tatsache, dass die Erwerbstätigen in die Rentenkasse einzahlen, die
Erwerbslosen nicht. Selbst bei den dargestellten geringen Lohnhöhen können
Erwerbstätige pro Jahr Erwerbstätigkeit mit 25 -35 € Rente pro Monat
rechnen, währenddessen Erwerbslose keine Rentenansprüche aufbauen.Bei
Langzeit-

erwerbslosen wird hier die Altersarmut vorprogrammiert.


3.

Überprüfe bitte die Freibeträge bei den Bedarfsgemeinschaften mit Kindern.
§ 11 b SGB II letzter Satz (!) erhöht in diesem Fall die Kappungsgrenze zur
Berechnung der Freibeträge von 1200 auf 1500 €. Der Freibetrag beträgt hier
330 € und nicht 300 €.

Unter 2.3.6. führst Du aus:

„*Statt ohne Aufstockung mit Wohngeld 2.964,81 € zu erhalten, erhält das
Paar mit 0,00 € Aufstockung ohne Wohngeld 2.953,81 €. Die Differenz
zwischen verfügbarem Einkommen mit und ohne Aufstockung ist 2.953,81 € –
2.964,81 = -11,00 €. Dies entspricht dem ums Wohngeld reduzierten
Aufstockbetrag: 0,00 € – 11,00 € = -11,00 €. Es sollte hier kein
aufstockendes ALG II beantragt werden, da dies eine schlechtere Position
erbringt als der *

*Bezug von Wohngeld.“ *


Dies entspricht nicht der Praxis, weil in dem genannten Fallbeispiel ein
Antrag auf „Aufstockung“ abgelehnt werden würde, weil das verfügbare
Einkommen, die Regelbedarfe übersteigt (§ 9 SGB II).Üblicherweise versieht
das Jobcenter Köln einen solchen Ablehnungsbescheid mit dem Hinweis auf die
Möglichkeit Wohngeld zu beantragen.


Mit solidarischen Grüßen


Manfred Müller


Sozialberater bei der LINKEN.Köln


Am 4. April 2018 um 12:58 schrieb Alexander Recht <a.recht at gmx.de>:

> Liebe Genossinnen und Genossen,
>
>
>
> in der FAZ wurde am 19.03.2018 ein Artikel publiziert, dessen Überschrift
> lautete: "Hartz IV lohnt sich oft mehr als Arbeit". Er findet sich hier:
>
> http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/hartz-iv-lohnt-
> sich-oft-mehr-als-arbeit-15500363.html
>
>
>
> Um den ganzen FAZ-Artikel lesen zu können, verweise ich auf den Anhang.
>
>
>
> Jedenfalls ist dieser FAZ-Artikel fehlerhaft und seine Grundthese falsch.
> Daher habe ich mich in einem eigenen umfassenden Artikel mit ausführlicher
> Erklärung und Berechnung darum bemüht, die FAZ-Fehler zu korrigieren und
> darauf hinzuweisen, dass das Lohnabstandsgebot durch höhere Löhne
> eingehalten werden sollte.
>
>
>
> Man findet meinen Artikel im Anhang und jeweils aktualisiert hier:
>
> https://www.dropbox.com/s/z25bhafhkf7fmx3/FAZ_
> unzureichende_Rechnung.pdf?dl=0
>
>
>
> LG,
>
> Alex
>
> _______________________________________________
> aktive-innenstadt mailing list
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> http://lists.die-linke.org/mailman/listinfo/aktive-innenstadt
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